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Architektur/Museen
  Intro Textilstadt Wülfing

Wer kennt eigentlich Radevormwald? Kaum jemand! Auch bei der Recherche im Internet muss man genau suchen, um Informationen über das zu bekommen, was, außer der wunderschönen Landschaft, diese Stadt im Bergischen Land besonderes zu bieten hat. Idyllisch im Tal der Wupper liegt ein Industriedenkmal von europäischem Rang, eine Textilstadt, deren beeindruckendes Ensemble aus Fabrikgebäude, Arbeiterwohnungen, klassizistischen Villen sich in D-Zug-Form an den Bogen der Wupper schmiegt, eng und ansteigend den Hang hinauf. Man wähnt sich in einer Filmkulisse, glaubt eher in England oder Wales zu sein, inmitten der Bruchstein- und Ziegelgebäude, die so gar nicht zu den sonst Schiefer beschlagenen Häusern mit grünen Fensterläden dieser Region passen.

sheddächer   Strasse


Nach langem Dornröschenschlaf wird nun aufwendig restauriert! Das Hauptgebäude ist verpackt, große Transparente und Schilder weisen auf den Erhalt und die Instandsetzung der Textilstadt Wülfing hin, die ein Gewerbepark, Museums- und Veranstaltungszentrum werden soll. Endlich scheinen die jahrelangen Bemühungen des sehr rührigen Vereins Früchte zu tragen. Dächer und Fenster müssen gesichert, Fassaden erhalten werden.

Baumaßnahmen

Die Firma "Johann Wülfing & Sohn" ist eines der ältesten Textilunternehmen der Welt. 1674 von dem aus einer alten Lenneper Tuchmacherfamilie stammenden Gottfried Wülfing (1651 ­1793) in Lennep gegründet, begann dann Johann Wülfing (1719-1793) 1774 unter dem Firmennamen Johann Wülfing & Sohn mit der industriellen Produktion feiner Tuche und Stoffe. Anfang des 19. Jahrhunderts wanderte die Firma aufgrund der französischen Besatzung und der von Napoleon auferlegten Handelsbeschränkungen ins belgische Eupen aus. Dort lernte man moderne und produktivere Spinn- und Webmaschinen kennen und kehrte 1816 mit neuen Maschinen nach Lennep zurück. Aufgrund der fehlenden, aber notwendigen Antriebsenergie zog die Firma an die nahe gelegene Wupper, übernahm die 1788 entstandenen Buschhämmer – eine wasserbetriebene Fertigungsanlage für Sensen – und richtete in den Hämmern und den Nebengebäuden die Textilfabrik ein. 1836 zerstörte ein Großbrand die alten Hämmer und die neuen Gebäude der Firma. Christian Schmidt, der Vater des berühmten Architekten Albert Schmidt aus Lennep, errichtete den heutigen Altbau aus Bruchsteinen nach Plänen des Barmer Privatbaumeisters Christian Heyden. Schon 10 Jahre später arbeiteten 450 Menschen in den neuen Arbeitsstätten. Es entwickelte sich eine kleine Fabrikstadt. Zahlreiche Arbeiterwohnungen entstanden, nach und nach die gesamte Infrastruktur der Ortschaft Dahlerau. 1827 ließen die Unternehmer eine Straße in das abgelegene Tal errichten, 1890 erfolgte die Anbindung an die Eisenbahn.

Gemälde Textilstadt Wülfing

1900 war die Firma "Johann Wülfing & Sohn" eine autarke Textilstadt mit eigenem Bahnhof, Poststation, einer zentralen Badeanstalt mit Duschen und Wannen, Geschäften, Kindergärten und Wohnungen und hatte eine Jahresproduktion von 300.000 Stück Tuch à 30 Meter. Die Gebäude wurden bei den Erweiterungen so gut wie nie abgerissen, und auch der 2. Weltkrieg richtete keine größeren Schäden an, so dass sich heute Firmengebäude aus über 160 Jahren auf dem Gelände befinden.

Von 1960 bis 1980 geriet die Textilindustrie in Deutschland immer mehr in die Krise. Die Mitarbeiterzahl verringerte sich von 1000 auf 360. Mitte der 80 Jahre wurde die Musterproduktion der Firma stillgelegt, 1993 meldete die Firma Konkurs an, wurde von einer Auffanggesellschaft bis 1996 und der endgültigen Insolvenz weitergeführt. Die Produktion war zu teuer, die Auftragsbücher jedoch voll. Der umfangreiche Maschinenpark wurde abmontiert und nach Asien verkauft.

Seit 1997 bemüht sich ein der Museumsverein, hauptsächlich bestehend aus ehemaligen Mitarbeitern der Firma, um den Aufbau des Wülfingmuseums. Die Herzstücke der Firma, das Textilprüfungslabor und die Musterwebstühle sind erhalten geblieben und noch voll funktionstüchtig. Der zweite Schwerpunkt des Museums ist die Geschichte der Energieerzeugung.

Gewebtes handtuch Detail mit Schriftzug

Tritt man durch die Eingangstür, so erinnert hier nichts an das wohldurchdachte und manchmal steril wirkende Infodesign hoch subventionierter Museen. Kein durchdesigntes Ausstellungskonzept, keine moderne Multimediatechnik. Fehlende Gelder für aufwendige Reparaturen und ein hohes Maß an Engagement zeigen ein Museum der besonderen Art. Morbide Wände und Decken, die Patina einer vergangenen Ära umgibt die Räume des ehemaligen Garnlagers, in dem die Betreiber des Museums ihre Auslagen präsentieren. Dem verwöhnten Vielmuseumsgänger mag das alles etwas spartanisch und wenig repräsentativ erscheinen, doch hinter den liebevoll ausgebreiteten Exponaten und selbst produzierten Infoplakaten stecken ein bewundernswerter ehrenamtlicher Einsatz und ein fundiertes Fachwissen. Hier patrouillieren keine abgestellten Aufpasser durch die Räume, sondern hier stehen Menschen Rede und Antwort, die einen großen Teil ihres Lebens in dieser Firma verbracht haben.

In der Musterweberei stehen zwei 80 Jahre alte Jacquard-Webstühle mit Lochkartensteuerung. Der gelernte Tuchmacher Helmut Weber (Nomen est omen) ist der Meister über die Schiffchen und Fäden. Wo in anderen Museen Filme versuchen, den Besuchern die komplizierten Arbeitsschritte an einem Jacquardwebstuhl nahe zu bringen, hier macht es der Meister persönlich.

webschiffchen beim durchshuß   Harnischschnüre   Verknotung der Kettfäden


Er erklärt mir die Logik des Wirrwarrs der Harnischschnüre, die Funktion der Platinen und Plantinenschnüre, das Geheimnis der Federn und Nadeln, was es ermöglicht, dass die Lochkarten, die über das Holzprisma rattern, ein textiles Gewebe mit Muster entstehen lassen. Wir stanzen Lochkarten, wickeln Schnüre über den Handschärbaum, zwirnen Garne mit der Ringzwirnmaschine.

Oder Peter Dominick. Er brachte die 1891 erbaute 400 PS starke Zweizylinder Dampfmaschine wieder zum Laufen. Mit erstaunlicher Leichtigkeit dreht sich das 5,57 m große Schwungrad der größten Dampfmaschine des Bergischen Landes.

sich drehendes Schwungrad der Dampfmaschine   Antriebsrad der Transmission


Sie war die Energiequelle für ein ausgeklügeltes System der Transmission, der Weiterleitung von Energie unter Zuhilfenahme mechanischer Bauteile. Überall in dem Gebäude findet man noch Räder, Wellen und Stangen, die Rückschlüsse auf diese in der frühen Industrialisierung eingesetzte Verteilung der Energie geben.

Zeichnung Transmissionsprinzip

Ab 1901 war die Dampfmaschine der Antrieb eines Drehstromgenerators, der zusammen mit dem Wasserkraftwerk Schlenke Strom für den Norden des Landkreises Lennep lieferte. Weiter unten im Gebäude läuft immer noch die 1921 in Betrieb genommene Wasserturbinenanlage. Wolfgang Masanek, bis 1994 Betriebsleiter, ist heute sachkundiger Führer durch das Museum und die Textilstadt Wülfing.

Für dieses Jahr hat das Wülfingmuseum eine Vielzahl an Aktionstagen und Sonderveranstaltungen geplant. Generell gibt es Führungen und Exkursionen zu folgenden Themen:
•Energietechnik, eventuell mit Spaziergang durch die ganze Wasserkraftanlage (ca. 2 km)
•Textiltechnik mit Vorführungen
•Bau- und Industriegeschichte
•Wanderung von Krebsöge bis Dahlerau "Auf den Spuren der Wupperindustrie" (ca. 5 km).

Die Stadt Radevormwald hat sich bisher nicht gerade durch sensiblen Umgang mit ihrem kulturellen Erbe hervorgetan. Es bleibt zu hoffen, dass sie sich dieser schwierigen und verantwortungsvollen Aufgabe, der Bewahrung eines außergewöhnlichen Industriedenkmales, bewusst ist. Vielleicht gelingt es ihr diesmal, den Bogen zu spannen: Historische Substanz zu bewahren und neue Nutzung möglich zu machen.

Allen anderen ist, auch zur Unterstützung und Förderung dieses Projektes, ein Besuch der Textilstadt wärmstens zu empfehlen.

Wülfingmuseum
Öffnungszeiten: Dienstags- und Samstags morgens
Jeden zweiten und vierten Sonntag in den Monaten April bis Oktober 2005 von 11.00 bis 17.00 Uhr
Infos: Rosemarie Kötter 02191 -663219 oder Wolfgang Masanek 02191 666994
Internet: www.wuelfingmuseum.de