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Kunst | ||||||||||||||||||||||||||||
Textilkunst. Sehe ich da ein verächtliches Naserümpfen der "Kunstkenner"? Wohl keine Kunstrichtung ist so sehr mit dem Klischee der "sich selbst verwirklichenden Hausfrau auf Sinnsuche" und des Kunsthandwerks behaftet wie die Textilkunst. Ungeachtet dieser bizarren Vorstellung mal anders nachgefragt: Macht der Werkstoff ein Objekt zur Kunst oder seine inhaltliche Aussage? Claudia Merx spricht wenig über das Material, mit dem sie arbeitet. Momentan ist es ein Fasermaterial (Wollhaare) das mit seiner charakteristischen Eigendynamik die Grundlage ihrer Arbeitsweise und ihrer Objekte ist, aber vielleicht arbeitet sie morgen mit Papier und Bleistift oder einem anderen Werkstoff, der ihre inhaltlichen Aussagen besser transportieren kann. Ihr Fasermaterial hat im Laufe der letzten Jahre einen nahezu papiernen Ausdruck gewonnen. Transparent, dünn, filigran dabei jedoch stabil, beweglich und fest spiegelt es gleichsam die Gegensätze wider, die Thema in den Arbeiten von Claudia Merx sind. Innen und Außen, Schein und Wirklichkeit, Stärke und Verletzbarkeit, Distanz und Nähe. Ihre Objekte brauchen Raum, das Dahinter, Daneben, Davor, Dazwischen, das Unten und Oben. Diese Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Blickwinkel und Betrachtungsweisen, räumlich wie auch im übertragenen Sinn, bilden den Kern ihrer textilen Installationen. In einer unverwechselbaren Eigenart und Klarheit der Gestaltung werden die meist wesensgleiche Objekte zu einem Ganzen vereint, so dass sie eine subtile, aber intensive und vielschichtige Wirkung erzielen.
Die Arbeit "das Innere nach Außen kehren, oder die Verletzbarkeit", gibt ein Beispiel für diese unterschiedlichen Möglichkeiten der Betrachtungsweisen. Röhren aus Fasergewebe, deren eines Ende unterschiedlich weit nach innen gezogen ist, lassen von oben zwei ineinander liegende Rollen sichtbar werden. Das Äußere schützt das Innere. Als Installation werden die vielschichtigen Sichtweisen deutlich. Eine schützenswerte Innenwelt und eine Schutz spendende Außenwelt? Oder ist es eher eine das Innenleben ab- oder begrenzende Außenwelt? Wie weit der Einblick ins Innere erlaubt wird, wie viel Schutz und Platz das Innere braucht, hängt von dem individuellen Standpunkt und der Sichtweise des Betrachters ab. Es ist nicht nur die Stabilität und Festigkeit der wunderschönen filigranen und transparenten Objekte die verblüfft, sondern auch die intelligente und ausgeklügelte Art der Installationen, die geringfügig geändert, eine völlig neue Aussage ergibt. Bei "Seelenruhe" hängen die Objekte in waagerechter Ausrichtung in großer Höhe an dünnen Nylonfäden. Ein Luftzug lässt unter den Objekten eine ruhige, behäbige Bewegung entstehen. Anders bei "und sie tanzen die Seelen." Gleiche Objekte, aber eine geänderte Aufhängung ergeben eine völlig andere, lebhaftere Dynamik.
Die Installationen von Claudia Merx laden den Betrachter dazu ein, seinen Standort zu verändern, den Blickwinkel zu wechseln, sich Fragen zu stellen. Hier genügt kein flüchtiger Augenblick, kein oberflächliches Überfliegen der Installationen, es braucht Zeit, sich dieser Vielschichtigkeit bewusst zu werden. Zeit ist in gewisser Weise ein weiteres Thema in den Arbeiten von Claudia Merx. Sie spricht von Entschleunigung. Das Wort Entschleunigung tauchte Anfang der 90er-Jahre in wissenschaftlichen Fachpublikationen der Evangelischen Akademie Tutzing und des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt, Energie auf. Die Idee ist aber älter und mindestens bis in das 19. Jahrhundert zurück verfolgbar, als es in England Tendenzen gab, die Geschwindigkeiten der Eisenbahnen einzuschränken. Es zeigt, dass schon recht früh die Eigendynamik der industriellen, wirtschaftlichen und auch gesellschaftlichen Entwicklung das natürliche und insbesondere menschliche Maß für Geschwindigkeit irritiert hat. Die Suche nach angemessenen Geschwindigkeiten, die Sehnsucht nach Eigenzeiten und Rhythmen von Mensch, Kultur und Natur ist insofern alt, aber in einer Zeit, wo das Gefühl dominiert, immer schneller leben zu müssen, auch zukunftweisend.
Mit ihren neuen Arbeiten "Tiefen" möchte Claudia Merx den Blick verlangsamen. Ihre Objekte sollen die Wahrnehmung des Betrachters intensivieren, sie vertiefen und für die vielschichtigen (Innen)räume sensibilisieren. Kunst oder Objekte aus dämmendem oder wärmendem Material wie Textil oder Wolle haben bei einigen Architekten oder auch Innenarchitekten bezüglich der Schallabsorption und der Raumatmosphäre an Bedeutung gewonnen. Sie stehen im Kontrast zu den harten und kalten Baumaterialien wie Stein, Glas oder Metall und können mit der Eigendynamik und Ausstrahlung ihres Materials die Atmosphäre und Weite eines Raumes prägen. Es entstehen Ruhezonen für die Augen und die Sinnen. Das hatte auch schon Beuys mit seinen "Filzräumen" anschaulich demonstriert. Allerdings war er mit einigen seiner Arbeiten und den oft sehr komplexen Aussagen seiner Zeit voraus.
Claudia Merx lebt und arbeitet in Stolberg und Aachen.
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